
mixed pickles zur Sonnwende – Teil 1
Fall Hanna Wörndl: Haftentlassung für den 2024 als Mörder verurteilten Sebastian T. – nach dem Fall Genditzki erneut großer Erfolg für Rechtsanwältin Regina Rick mit einer Wiederaufnahme
Am Freitagmittag teilte das Landgericht Traunstein mit, dass es den Haftbefehl gegen Sebastian T. aufgehoben hat. Sebastian T. war im Frühjahr 2024 von der 2. Jugendkammer des Landgerichts wegen Mordes zu neun Jahren Haft verurteilt worden. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass T. am 3. Oktober 2022 die Studentin Hanna Wörndl auf dem Heimweg von einer Disco ermordet hat. Das Gericht stützte sich dabei auf die Zeugenaussage eines Mithäftlings von T. in der Untersuchungshaft, der behauptete, T. habe ihm die Tat beim Kartenspielen in der Zelle gestanden und dabei auch den Tathergang detailliert erzählt. Wie man der Presse entnehmen kann, war die Glaubwürdigkeit dieses Zeugen von der Verteidigerin Regina Rick sofort entschieden in Frage gestellt worden, da der Zeuge schon in anderen Verfahren gelogen habe und da der Zeuge selbst schon gesagt habe, an einer Borderline-Persönlichkeitsstörung zu leiden. Weiter ist dem unten zuerst beigefügten Bericht der SZ zu entnehmen, dass die Verteidigerin deshalb beantragt hatte, die Gefängnispsychologin des Zeugen zu hören, dass die Vorsitzende Richterin dies in der Verhandlung aber abgelehnt habe.
SZ vom 20.6.2025, 16:21 h: Angeblicher Mörder auf freiem Fuß:
https://www.sueddeutsche.de/bayern/bayern-hanna-woerndl-sebastian-t-moerder-li.3272066?reduced=true
SZ vom 20.6.2025, 13:06 h: Vermeintlicher Mörder von Hanna Wörndl kommt frei:
https://www.sueddeutsche.de/bayern/mordfall-hanna-woerndl-haft-entlassung-sebastian-t-li.3272064
Irritierend an der damals positiven Bewertung dieser Zeugenaussage durch das Gericht ist, dass für diesen Zeugen kurz darauf ein Prozess anstand, bei dem dieselbe Richterin den Vorsitz führte. Somit hatte der Zeuge ein Motiv für eine Falschaussage zu Lasten des T., nämlich sich bei der Richterin beliebt zu machen. Eine Unebenheit in dem Prozess vor dem Landgericht war ferner, dass das Gericht der Verteidigerin Aktenstücke, die für die Glaubwürdigkeitsbeurteilung des Zeugen wichtig waren, erst nach dem gegen T. ergangenen Urteil zugänglich machte.
MM vom 21./22.6.2025: Fall Hanna: Sebastian T. ist frei:
https://www.merkur.de/bayern/frei-wende-im-mordfall-hanna-aus-aschau-sebastian-ist-93794389.html
Die Verteidigerin hatte in der Revision unter anderem gerügt, dass ein von ihr im Frühjahr 2024 eingebrachter Befangenheitsantrag gegen die Vorsitzende Richterin zu Unrecht abgelehnt worden war. Die Verteidigerin war bei einer Akteneinsicht zufällig in einem Nebenordner auf eine Mail der Vorsitzenden Richterin von Anfang Januar 2024 an den Staatsanwalt gestoßen, in dem die Richterin, ohne dies gegenüber der Verteidigung offen zu legen, geschrieben hatte, sie gehe davon aus, dass T. wegen gefährlicher Körperverletzung in Tatmehrheit mit Mord verurteilt werde. Der BGH teilte die Auffassung der Verteidigung, dass die Verheimlichung dieser Äußerung vor der Verteidigung und dem Angeklagten diesem gegenüber die Besorgnis der Befangenheit begründete und dass damit diese Richterin vom Verfahren hätte ausgeschlossen werden müssen. Der BGH hob daher das Urteil mit Beschluss vom 1.4.2025 (1 StR 434/24) auf und verwies die Sache an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zur erneuten Verhandlung zurück.
https://www.bundesgerichtshof.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2025/2025075.html
Daraufhin holte die neu zuständige Jugendkammer ein psychologisches Gutachten zur Belastbarkeit dieser ominösen Zeugenaussage ein. Der Gutachter Max Streller kam zum Ergebnis, dass der Zeuge den Angeklagten T. fälschlich belastet habe. Der Zeuge habe eine ausgeprägte Neigung zum Lügen. Unabhängig davon hatte die Verteidigung weitere Gutachten in Auftrag gegeben, die ihrer Überzeugung nach belegen, dass Hanna W. genauso gut durch einen Unfall, heißt durch einen Sturz in den zum damaligen Zeitpunkt wegen eines Hochwassers reißenden Bärbach, ums Leben gekommen sein kann.
Auf das Gutachten Streller reagierte die neu zuständige Jugendkammer des LG Traunstein nun sehr schnell und hob den Haftbefehl auf, sodass der Angeklagte noch am vergangenen Freitag auf freien Fuß gesetzt werden konnte. Die Verteidigerin Regna Rick ist zuversichtlich, dass der neue Prozess zu einem Freispruch führen wird.
Im Sommer 2022 war Regina Rick zugunsten des wegen Mordes zu lebenslang verurteilten Hausmeisters Manfred Genditzki eine ähnlich spektakuläre Wende gelungen. Dabei ging es um den Tod der Rentnerin Liselotte Kortüm im Oktober 2008 in ihrer Badewanne. Genditzki war am 12.5.2010 von einer Schwurgerichtskammer des LG München II und nach Aufhebung dieses Urteils durch den BGH am 12.1.2011 dann am 17.1.2012 nochmals von einer anderen Schwurgerichtskammer desselben Gerichts wegen Mordes schuldig gesprochen und zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Der erneute Revisionsantrag scheiterte.
FAKTENCHECK hat in den Beiträgen im August 2022, im Dezember 2022 und im Dezember 2023 schon mehrfach über den Fall „Genditzki“ berichtet.
In jenem Fall hatte die Staatsanwaltschaft und mit ihr dann das Landgericht zunächst das Mordmotiv „Habgier“ als erfüllt angesehen, wobei angenommen wurde, dass Genditzki Geld der Frau Kortüm unterschlagen hatte. Das Gericht hat dieses Motiv im ersten Urteil dann, wohl weil sich das Motiv „Habgier“ nicht ausreichend begründen ließ, durch ein anderes gesetzliches Mordmerkmal, nämlich die Annahme einer Verdeckungsabsicht wegen einer angeblich vorher zugefügten Körperverletzung, ersetzt. Rick versuchte nach der erneuten Verurteilung durch das LG München II am 17.1.2012 der Staatsanwaltschaft mit einer Computersimulation nahe zu bringen, dass die Rentnerin genausogut beim Wäschewaschen in der Badewanne in diese gestürzt und dann in der Badewanne ertrunken sein konnte. Erst durch die Einschaltung des Bayerischen Landtags im Jahr 2018 konnte Rick schließlich den Boden für einen Wiederaufnahmeantrag bereiten, der aber dann auch erst in der zweiten Instanz am 23.9.2021, also drei Jahre später, vom OLG München für zulässig erklärt wurde. Es dauerte dann nochmals 11 Monate bis am 12.8.2022 die Wiederaufnahme tatsächlich angeordnet und Genditzki endlich aus der Haft entlassen wurde. Acht Monate später am 26.4.2023 begann die neue Hauptverhandlung vor dem Landgericht München I. Ab da ging es dann sehr schnell: schon am 7.7.2023 wurde Genditzki schließlich freigesprochen. Er saß letztendlich 13 ½ Jahre unschuldig im Gefängnis. Von der Vorlage des Sturzgutachtens bis zur Freilassung Genditzkis hat es allein über drei Jahre und bis zum Freispruch über vier Jahre gedauert. Das zeigt, wie lange sich eine solche Wiederaufnahme hinzieht, bis ein Freispruch erzielt ist.
Auf ihrer website schildert Rechtsanwältin Rick durch Hinweis auf diverse Presseartikel, u.a.
auch noch einen anderen von ihr erfolgreich vertretenen Wiederaufnahmefall, und zwar den Fall des 2001 nach einem abendlichen Wirtshausbesuch spurlos verschwundenen Landwirts Rudolf Rupp. In diesem Fall hatte das Schwurgericht des LG Ingolstadt Rupps Ehefrau und einen Ex-Freund einer der Töchter wegen Totschlags aufgrund von deren Geständnis (!) zu 8 ½ Jahren Haft verurteilt.
http://verkehrsrecht-muenchen.eu/presse-verkehrsrecht-strafrecht.html
Nachdem aber 2009 völlig überraschend Rupps Mercedes mit dessen Leiche am Steuer bei Baggerarbeiten zufällig in der Donau gefunden und aus dem Fluß herausgezogen worden war, war klar, dass wesentliche Teile der Feststellungen, auf denen das Urteil beruhte, nicht zutrafen, und dass folglich auch die Geständnisse der im Gefängnis einsitzenden Personen falsch waren. Erst nach hartem Kampf der Verteidigung gab das OLG München 2010 den Wiederaufnahmeanträgen statt und sprach eine Kammer des LG Landshut die beiden Angeklagten frei. Wie die detaillierten falschen Geständnisse zustande gekommen waren, wurde juristisch nie aufgearbeitet. Die Zahlung einer Haftentschädigung konnte vermieden werden, da das LG Landshut trotz der Freisprüche weiter davon überzeugt war, dass einer der beiden Angeklagten Rupp getötet hatte, dass aber eben nur nicht feststellbar war, wer von den beiden, und dass die Angeklagten wegen ihrer falschen Aussagen selbst schuld seien an ihrer Verurteilung.
https://de.wikipedia.org/wiki/Todesfall_Rudolf_Rupp
Es liegt auf der Hand, dass für das Durchfechten einer Wiederaufnahme ein großes Durchhaltevermögen und eine enorme Gedankenschärfe erforderlich ist. Ein weiterer aktuell noch schwebender Fall in München ist der des 2006 geschehenen Parkhausmordes „Charlotte Böhringer“. Hier ist der in 2007 vom Landgericht München I in einem Indizienprozess verurteilte Neffe des Opfers Bence Toth am 24.4.2023 nach 17 Jahren Haft und somit verbüßter Strafe aus der Haft entlassen worden. Anfang der Jahres 2025 nahm nun das Landgericht Augsburg einen nach mehreren erfolglosen Versuchen erneut gestellten Wiederaufnahmeantrag von Bence Toth an. Grund der Wiederaufnahme ist, dass nun eine sehr wahrscheinlich entlastende Zeugenaussage zur Verfügung steht, die in dem bisherigen Verfahren zulässig verweigert worden war. Verteidiger ist dort der Fachanwalt für Strafrecht Peter Witting.
Foto: pixabay: Danke Pete Linforth